Struwwelpeter in der Kleinkinderschule/Kleinkinderbewahranstalt

 

Johann Friedrich Oberlin (1740 – 1826), ein Pfarrer in Waldersbach in den Vogesen gründete 1770 die ersten „Kleinkinderschulen“. Die heute übliche Bezeichnung ist „Kindergarten“.

Im Jahr 1838 gründete Johann Samuel Ferdinand Blumröder (1793 – 1878)  in dem kleinen Dorf Marlishausen eine „Kleinkinderbewahranstalt“. Blumröder war evangelisch lutherischer Geistlicher und seine Kleinkinderbewahranstalt ist einer der ältesten Kindergärten Deutschlands. Friedrich Wilhelm August Fröbel (1782 – 1852) gründete seine namensgebende Institution erst 1840. Die Bezeichnung Blumröders hielt sich aber lange Zeit in der Literatur des 19. Jahrhunderts. Diese frühe Gründung einer Kleinkinderbewahranstalt fand beispielgebende Unterstützung durch die Gemeinde Marlishausen und zusätzlich durch die Fürstin Mathilde von Schwarzburg-Sondershausen/Thüringen. In diesem Duodezfürstentum fand diese Pionierleistung statt. Diese Fürstin ist es übrigens auch, die Eugenie Marlitt (Meine Arnstädter Litteratur) fördert, indem sie ihr eine Gesangsausbildung in Wien ermöglicht und nach dem Verlust der Stimme als Vorleserin bei sich beschäftigt.

Die Kleinkinderbewahranstalt wurde von einer Witwe des Dorfes geleitet und Blumröder soll sich persönlich intensiv um die Betreuung gekümmert haben.

 

Claus Meyer ist der Maler, des Originalgemäldes, nach dem dieser Holzstich entstand. Der Künstler wurde am 20. November 1856 in Linden bei Hannover geboren. Er besuchte 1875/76 die Kunstschule in Nürnberg und anschließend die Kunstakademie in München. Durch einen seiner Lehrer wurde seine Aufmerksamkeit auf die niederländische Genremalerei gelenkt. Er erlangte darin eine solche Fertigkeit, daß er bald mit den größten niederländischen Meistern auf diesem Gebiet verglichen wurde u.a. mit Jan Vanmeer (1632 – 1675; Mädchen mit der Perle: Mona Lisa des Nordens) und Pieter de Hoogh (1629 – 1684). Im Unterschied zu den meist im Goldton gehaltenen Gemälden de Hooghs bevorzugt Meyer einen kühlen, dämmrigen Silberton. Auf einer der wiederholt veranstalteten „Münchner internationalen Kunstausstellungen“1) erhielt er eine „Große Golden Medaille“. Von 1891 – 1895 war er Lehrer an der Kunstakademie in Karlsruhe, ab Mitte 1895 lehrte er an der Kunstakademie in Düsseldorf. Dort starb er auch im Jahr 1919. Das Originalbild trägt den Titel „Die Kleinkinderschule“ Es entstand 1888 und nimmt ziemlich genau Bezug zur Entstehung von Blumröders Kleinkinderbewahranstalt.

 

Das Bild zeigt ein hohes helles Zimmer, in dem Buben und Mädchen etwa im Alter von drei bis zwölf Jahren verschiedenen Beschäftigungen nachgehen: einige schreiben auf Schiefertafeln, einige betrachten Bilderbücher, ein ganz Kleines spielt mit einer Puppe. Zwei Mädchen halten den damals unvermeidlichen Strickstrumpf in Händen.

Das größere der beiden strickenden Mädchen ist wahrscheinlich schon als Hilfe gedacht für die ältere Frau/Witwe, die gerade die Schreiberei auf der Schiefertafel eines neben ihr stehenden Mädchens prüft. Ganz im Vordergrund rechts kniet ein weiteres Mädchen vor einem Hocker und betrachtet fasziniert das Bild in ihrem Buch: den Struwwelpeter.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1)          III. Internationalen Kunstausstellung im Königl. Glaspaplast zu München 1888, Illustr. Katalog S. 105, mit Abbildungen