Im Lande des Christkinds – Die vierundzwanzig Wartetage
Vortrag für den „Freundeskreis des Heinrich-Hoffmann-Museums“ in
Frankfurt/M.
Ein Sammler findet nicht seine
Sammelstücke, er wird von ihnen gefunden – das habe ich zumindest immer wieder
festgestellt!
Wer erinnert sich nicht mehr oder
weniger wehmütig an die Kinderzeit und speziell an die Adventzeit? Sicher gab
es einen Adventkalender, selbstgemacht oder gekauft. Die Zählung der Zeit vor
dem 24. Dezember hat eine alte Tradition und ist erstmals im 15. Jh.
nachweisbar. Der Maler Petrus C(h)ristus,
der um 1444 das Bürgerrecht in Brügge hatte und vermutlich 1473 gestorben ist,
zeigt auf einem seiner Bilder die Gliederung des Advents in 24 Tage.[1]
Das spätmittelalterliche „Klausenholz“ z. B. oder der „Klausenbaum“ sind frühe
Formen des Adventkalenders. Der Klausenbaum seinerseits wieder ist zugleich eine
Art Vorläufer unseres Christbaumes, quasi ein „Ersatzchristbaum“. Es ist ein ursprünglich
pyramidenförmiges- später auch hausförmiges Gebilde, aufgebaut mit Äpfeln als
Verbindungsstücke zwischen mit Tannenreisig oder später auch mit Stanniolpapier
umwickelten Stäben. Vier Kerzen waren das Symbol für die vier Adventsonntage.
Kerbstäbe, in die für gute Werke und Gebete bis zum Weihnachtstag eine Kerbe
geschnitzt wurde, 24 Kreidestriche am Türstock, von denen jeden Tag einer
weggewischt wurde, 24 Bilder mit religiösem Inhalt wurden nach und nach an die
Wand gehängt, Strohhalme, die für entsprechendes Verhalten in eine leere Krippe
gelegt wurden, um nur einige Varianten aufzuzählen. Johann Hinrich von Wichern
( 1808 – 1881) im Rauhen Haus in Hamburg ließ um 1840 auf einem Holzring in der
Weihnachtszeit täglich eine Kerze mehr entzünden, bis schließlich am 24.
Dezember alle brannten. Alles das sind Vorläufer der gedruckten Adventkalender,
wie sie heute – meist eher geschmacklos in der Aufmachung - zu kaufen sind.
Aber dann war es schließlich so
weit: eine schwäbische Pfarrersfrau nähte 1883 für ihren knapp 3 Jahre alten
Sohn 24 kleine Gebäckstücke auf ein Stück Karton, damit ihm die Zeit bis zum
24. Dezember versüßt werde. Eine andere Version sagt, sie habe 24 kleine
Schachteln auf einen Karton geklebt und mit Gebäckstücken gefüllt. Besagter
kleiner Junge nahm im Jahr 1903/04 bzw. 1908 die Idee seiner Mutter auf und
brachte den ersten gedruckten Adventkalender auf den Markt. Es war Gerhard Lang,
der als Teilhaber der lithographischen Anstalt Reichhold & Lang in
Schwabing diese Kindheitserinnerung auf eine etwas andere Art zum Verkaufsschlager
machte. Erstmals 1903/04 als Beilage für
die Abonnenten von „Neues Tagblatt Stuttgart“. Damals war er noch als Redakteur
tätig, 1908 kam seine Idee dann als selbstständiges Produkt in den freien
Verkauf bei Reichhold und Lang.
Was hat das alles aber mit dem
Struwwelpeter zu tun? Dieser erste gedruckte Adventkalender hatte noch keine
Fenster, er war in der „Manier“ der Bilderbögen und hieß „Weihnachtskalender“.
Eine Kartonplatte, bunt verziert mit weihnachtlichen Motiven, aber vor allem mit
Spielzeug. Eingeteilt in 24 Felder, auf die die Ziffern 1 – 24 sowie kurze
Verse gedruckt waren, bildete der Karton die Grundlage für die tägliche
Bastelarbeit. Von einem Papierbogen, ebenso in 24 Felder geteilt und mit kleinen
Einzelszenen des „himmlischen Weihnachtsalltags“ bedruckt, wurde täglich ein
Bild abgeschnitten und auf das entsprechende Feld des Grundkartons geklebt.
Damit die schönen Verse nicht ganz verschwanden, waren sie auf der Rückseite
des Kartons nochmals alle aufgedruckt. Zum Weihnachtsabend hatten die Kinder
ein Bild mit Szenen aus „dem Lande des Christkinds“ – so hieß der 1. Münchener
Weihnachtskalender. Und welche Szene ist am 16. Dezember zu sehen? Ein kleiner
Engel liegt am Boden, vor ihm ein Malkasten und ein geöffnetes Buch, in welchem
er eifrig malt: deutlich ist der Hans Guck in die Luft zu erkennen, der ... also
kerzengrad immer mehr zum Flusse trat. Hinter dem Engel lehnt an der
Wand ein weiteres Bilderbuch, auf dem zwei Bilder zu erkennen sind: der große
Nikolas, wie er erst die drei Lümmel ermahnt, am zweiten Bild tunkt er sie ins
Tintenfaß. Sogar die Textzeilen sind angedeutet. Natürlich fehlt nicht der
Hinweis im Vers, daß der kleine Engel sorgsam acht gibt, sich nicht zu
beschmutzen.
Sehet
nur den kleinen Engel
Mit
den großen Büchern an,
Wie
mit Pinseln er und Farben
Bilderbücher
malen kann.
Fleißig
ist er gar und eifrig –
Aber
sorgsam gibt er acht,
Daß
die Hände und das Kleidchen
Er
mit Farb’ nicht schmutzig macht.
Am 20. Dezember treffen wir nochmals auf
unseren alten Bekannten, man ist schon beim Vorbereiten für das Verpacken:
Auch
in der Himmelsbuchhandlung
Gibt
es viel zu richten,
Wo
viele tausend Bücher steh’n
Mit
Märchen und Geschichten.
Was
trägt der kleine Engel denn?
Ei
dies kennt ja ein jeder,
Es
ist das schöne Bilderbuch
Vom
– garstigen Struwelpeter.
Diese erste Ausgabe des
Weihnachtskalenders gab es später in verschiedenen Formen, z. B. als
Abreißkalender. - Als Sammler stöbert man auch bei Ebay und dort fiel mir ein
solcher natürlich sofort auf, die Bilder mit den Struwwelpeterzitaten waren
eingestellt. Der Kalender war laut Beschreibung sehr ramponiert, und ich hoffte
auf geringes Interesse und zahlreiche Urlauber. Es war Anfang September und
Weihnachten noch weit. Ich beschloß mitzubieten, aber meine Schmerzgrenze war
bald erreicht, – also doch nicht mehr alle auf Urlaub! Ich wurde leider in
letzter Sekunde überboten. Mein Jagdinstinkt war geweckt und ch beschloss, Kontakt
mit dem Käufer aufzunehmen. Ich erzählte ihm von meiner Sammlung und bat ihn,
mir gegen Bezahlung die entsprechenden Bilder zu kopieren, was er freundlicher
Weise auch versprach. Die Bezahlung meinte er, könnte ich mir sparen. Ich hätte
ihn so hoch hinaufgetrieben, dass es ihm auf die paar Euro auch nicht mehr
ankomme. Und tatsächlich schickte er mir die Kopien unentgeltlich. Als ich mich
dann näher mit meiner Neuerwerbung auseinander setzte, dämmerte es langsam bei
mir, dass ich die Bilder quasi in „Erstauflage“ bereits hatte. Ich hatte vor
Jahren in meiner Zeit als Bibliothekarin an der Pädagogischen Akademie in Baden
für eine kleine Ausstellung in der Adventzeit den Nachdruck dieses ersten
gedruckten Adventkalenders gekauft. Damals spielte der Struwwelpeter aber noch
keine Rolle in meinem Leben, oder doch eine eher untergeordnete.
Der Verfasser der Verse ist Gerhard
Lang (1881 – 1974), der Pastorensohn aus Maulbronn, der nach Beendigung seiner
Ausbildung als Buchhändler 1906 Mitinhaber der Lithographischen Kunstanstalt Reichhold in München wurde, die ab da
Reichhold und Lang hieß. Der
Illustrator ist Richard Ernst Kep(p)ler
(1851 – 1930)[2]. Der Maler und
Illustrator studierte in Stuttgart am Polytechnikum und an der Kunstakademie.
Er bildete sich in München und Wien weiter und wurde besonders durch Moritz von Schwind (1804 – 1871)
beeinflußt. Es existieren Gemälde von ihm (u.a. König Ludwig II. von Bayern).
Bekannt wurde er durch seine zwei Märchenfriese, ganz besonders aber durch
seine Tätigkeit als Illustrator. Einer der Friese (Schäfer und Schlange)
befindet sich in Wien im Palais Schmidt-Sugg (?), der andere befindet sich in
Privatbesitz in Stuttgart (Mönch und Waldvögelein). Ab 1870 hat er für fast
alle größeren Verlagsanstalten Deutschlands, Österreichs und der Schweiz Buchschmuck
und Illustrationen gezeichnet.