Daten zum Leben Heinrich Hoffmanns und zur Geburt des Struwwelpeters

 

1809

am 13. Juni wird Hoffmann in Frankfurt geboren. Er ist das einzige Kind des Architekten und Städtischen Wasser-, Wege- und Brückenbauinspektors Philipp Jacob Hoffmann (1772 - 1834) und dessen Frau Marianne Caroline geb. Lausberg (1776 - 1810). Die Mutter stirbt ein halbes Jahr nach seiner Geburt.

1813

im Jahr der Völkerschlacht bei Leipzig, heiratet der Vater die jüngere Schwester seiner ersten Frau, Antoinette Lausberg (1784 - 1863) , die Heinrich eine liebevolle Stiefmutter ist.

1816

Die Schulzeit in der Weißfrauenschule dauert nur solange, bis die Mutter entdeckt, daß Heinrich Läuse aus der Schule mitbringt. Ab da erhält er zusammen mit der jüngeren Schwester Privatunterricht. Später besuchte er das Gymnasium im ehemaligen Barfüßerkloster an der Paulskirche und schließt 1828 seine Schulzeit ab. In seinen Lebenserinnerungen beurteilt er den Unterricht an dieser Anstalt als sehr schlecht, ". . . wir im Gymnasium wandelten noch durch eine unfruchtbare Einöde."

1829

Beginn des Studiums der Medizin in Heidelberg

1832

setzt er seine Studien an einer Klinik in Halle fort. Gleich zu Beginn seiner praktischen Arbeit erfährt er die ganze Härte seines Berufs: "Als ich ankam, begrüßten mich gleich Cholera und Blattern... Ich erinnere mich noch eines tödlich verlaufenen Cholerafalls... Der Kranke wurde von mir vorschriftsmäßig an den Armen und Beinen mit verdünnter Salzsäure eingerieben und nahm seine Mixtur; aber es half alles nichts; während ich selbst unten an den Beinen eifrig rieb, starb der Mensch oben, und ich war wirklich sehr verwundert..." Vor Abschluß seiner Studien in Halle wird ihm ein Stipendium bewilligt, das mit einem Auslandsaufenthalt verbunden ist.

1833

Wegen Geldmangels geht er im Juli verspätet ins Examen und wird zum Doktor promoviert. Die Feierlichkeiten zur Promotion empfindet er als lächerlich ...Es war eine Komödie, von Krahmer und mir in Szene gesetzt. Unsere Thesen, Angriffe und Verteidigung, hatten wir niedergeschrieben und in leidliches Latein übersetzt. Wir lasen oder rezitierten sie wie eine Lustspielszene in Rollen vor." -  Im Oktober reist er auf Grund des Stipendiums nach Paris.

1834

Im August wird er nach Hause gerufen, da sein Vater schwer erkrankt ist und bald nach der Rückkehr stirbt.

1835

Hoffmann muß eine zweite Abschlußprüfung ablegen vor einem Frankfurter Kollegium, da Frankfurt als Freie Reichsstadt ein eigenes Staatsexamen hat. Seine erste öffentliche Anstellung erhält er im gleichen Jahr im neuen Leichenhaus in Sachsen­hausen. Dieser Posten verpflichtet ihn, seine eigene Praxis in Sachsenhausen zu eröffnen.

 

Befreundete Ärzte hatten bereits im Sommer 1834 eine Armenklinik gegründet. Zu diesem Zweck wurde ein Haus gemietet, das dem Kastenhospital, der damaligen Frankfurter Irrenanstalt, gehörte. Darin richteten sie ein kleines Hospital mit einem Haushalt und einer Wärterin ein. Dort hielten sie zweimal wöchentlich unentgeltlich Sprechstunden. Die Kosten wurden durch mildtätige Spenden gedeckt. Außerdem war jedem der Beteiligten ein zu Frankfurt gehöriges Dorf zur Betreuung zugewiesen. Ein medizinisches Kränzchen wird gegründet, das neben ernsthafter Fachdiskussion auch viel gemeinsame Vergnügungen und Landpartien veranstaltet. Hoffmann tritt auch der Freimaurerloge ’Zur Einigkeit’ bei, die er aber einige Jahre später wegen antisemitischer Einstellung einiger Mitglieder wieder verläßt.

1837

lernt er auf der Hochzeit seines späteren Schwagers Therese Donner kennen. Er setzt sich dieses Mädchen als spätere Frau in den Kopf und "...diese Idee steigerte sich zur vollen tyrannischen Leidenschaft, ..."

1838

findet in Frankfurt am 29. und 30. Juli das erste deutsche Sängerfest  statt und Hoffmann ist an den Vorbereitungen beteiligt.

1840

am 5. März heiratet er Therese Donner. Im Herbst gründet er — wie schon öfter zu­vor - einen Verein, diesmal Die Gesellschaft der Tutti Frutti". In diesem Verein kom­men Literatur- und Kunstfreunde jeden Standes regelmäßig zu­sammen. Die Terminologie des Vereins ist der indischen Mythologie entlehnt; so heißt der Vorstand Brahma, Wischnu ist der Schriftführer und die Protokolle müssen in die heiligen Veden eingetragen werden. Die Versammlungen selbst werden "Bäder im Ganges" genannt. Alle Mitglieder müssen sich einen Gemüse- oder Früchtenamen beilegen, Hoffmann ist die Zwiebel.

1841

Am 8. Mai wird der Sohn Carl geboren, für den er 1844 den ’Struwwelpeter’ schreibt. Während Hoffmann in Frankfurt 1868 mit der Familie den Geburtstag des fernen Sohnes feiert, stirbt Carl 27jährig in Peru am Gelbfieber. Erst vier Wochen später erreicht die Familie die traurige Nachricht.

1842

Hoffmann ist schriftstellerisch tätig und veröffentlicht Gedichte, die ein mäßiger Erfolg sind. Er läßt sich nicht entmutigen, und als er Hegels Naturphilosophie gelesen hat, "...standen mir förmlich die Haare zu Berg; ich wollte dem Unsinn in aristophanischer Schärfe zu Leibe gehen und schrieb : ’Die Mondzügler.’

1843

Veröffentlichung der Komödie Die Mondzügler. Eine Komödie der Gegenwart, die ein finanzieller Mißerfolg bleibt und dem Autor 80 Gulden Schulden einbringt.

1844

erhält Heinrich Hoffmann eine Stelle als Lehrer der Anatomie am Dr. Senckenbergschen Institut. Dort werden Vorlesungen gehalten für an Naturforschung interessierte Bürger, Chirurgengehilfen und Primaner, die sich auf ein Medizinstudium vorbereiten. Frankfurt hatte damals noch keine eigene Universität (erst 1912 wurde diese gegründet).

 

Am 11. Dezember wird die  Tochter Antonie Caroline geboren. Als Weihnachtsgeschenk für den dreijährigen Sohn Carl entsteht das Bilderbuch ’Lustige Geschichten und drollige Bilder’.

 

Heinrich Hoffmann suchte für Weihnachten für seinen dreijährigen Sohn ein Bilderbuch als Geschenk, aber alles was in den Buchläden angeboten wurde, sagte ihm nicht zu. So kam er schließlich mit einem leeren Schreibheft zu seiner Frau nach Hause und legte es ihr vor mit der Bemerkung, daß er da nun selbst ein Bilderbuch machen wolle für seinen Sohn. Er konnte bei diesem Vorhaben aber auf einen vorhandenen Fundus von Zeichnungen zurückgreifen. Immer schon wurden Rauchfangkehrer, Arzt und Wachebeamten als Schreckgespenst für kleine Kinder verwendet, besonders was den "Doktor" anbelangt, konnte Hoffmann aus eigener Erfahrung ein Lied singen. Da hatte er nun eine eigene Methode entwickelt, um mit verängstigten, brüllenden oder widerspenstigen kleinen Patienten fertig zu werden."...Da nahm ich rasch das Notizbuch aus der Tasche, ein Blatt wird herausgerissen, ein kleiner Bube mit dem Bleistift schnell hingezeichnet und nun erzählt, wie sich der Schlingel nicht die Haare, nicht die Nägel schneiden läßt; die Haare wachsen, die Nägel werden länger, aber immer läßt er sich dieselben nicht schneiden, und immer länger zeichne ich Haare und Nägel, bis zuletzt von der ganzen Figur nichts mehr zu sehen ist als Haarsträhne und Nägelklauen. Das frappiert den kleinen Desperaten derart, daß er schweigt, hinschaut, und mittlerweile weiß ich, wie es mit dem Pulse steht,...ob der Leib oder die Atmung schmerzhaft ist - und der Zweck ist erreicht. Als mein Buch nun fertig war bis auf das letzte Blatt, da war aber auch mein Bilderschatz zu Ende. Was sollte nun auf dies letzte Blatt? Ei nun, da setzen wir den Struwwelpeter hin! So geschah es,..." Daher war in den ersten Auflagen das Blatt mit dem Struwwelpeter an letzter Stelle, erst die Kinder forderten einfach "den Struwwelpeter", und so kam er ab der 5. Auflage auf die erste Seite. Die ursprünglich sechs Geschichten mit Vorspruch wurden auf zwei Etappen erweitert auf die heute bekannten zehn.

 

Bei der Taufe der Tochter nach Weihnachten wurde das Buch bewundert und Hoffmann gedrängt, es drucken zu lassen. Aber erst bei einem der "Bäder im Ganges" am 18. Jänner 1845 konnte Hoffmann überredet werden, einer Veröffentlichung zuzustimmen. Er übergab das Buch einem Mitglied der Tutti Frutti, dem Verleger Löwenthal mit der Bemerkung: "...Meinetwegen! Geben Sie mir 80 Gulden und versuchen Sie ihr Glück!" Genau 80 Gulden war Hoffmann aber noch schuldig für die "Mondzügler".

1845

erscheint vor Weihnachten unter dem Pseudonym Reimerich Kinderlieb die erste gedruckte Ausgabe von Lustige Geschichten und drollige Bilder in 1500 Exemplaren, die innerhalb von vier Wochen verkauft werden. "...Und der Struwwelpeter betrat die Bühne der jugendlichen Welt ...der Schlingel hat sich die Welt erobert, ganz friedlich, ohne Blutvergießen, und die bösen Buben sind weiter auf der Erde herumgekommen als ich . . ."

1848

Am 21. Jänner wird der Sohn Eduard geboren. An der deutschen Revolution ist Hoffmann als Mitglied des Vorparlaments beteiligt. Diese Versammlung bereitet im März d. J. die erste deutsche Nationalversammlung vor. Als Reaktion quasi auf die Aufsplitterung der demokratischen Bewegung und als Kritik an den linken Republikanern schreibt er selbst die erste von vielen nachfolgenden politischen Interpretationen seines Struwwelpeter, das Handbüchlein für Wühler oder kurzgefaßte Anleitung in wenigen Tagen ein Volksmann zu werden, unter dem Pseudonym Peter Struwwel.

1849

Als er hört, daß sein Handbüchlein in Sachsen von der reaktionären Partei mit Anerkennung gelesen werde, schrieb er als Gegengift den ’Heulerspiegel’ Darin karikiert Hoffmann die Ängste des Bürgertums vor der Revolution.

1851

erhält Hoffmann die Stelle des Arztes an der Anstalt für Irre und Epileptische in Frankfurt. Die Zustände in dieser Anstalt schockieren Hoffmann derart, daß er den Plan faßt, einen Neubau ins Leben zu rufen. Durch eine Aufklärungskampagne und eine beispiellose Sammlung , die er systematisch unter den Frankfurter Bürgern durchführt, bringt er es zu einem Anfangskapital von 46.000 Gulden. Den entscheidenden Betrag erhält er aber durch eine testamentarische Verfügung des Freiherrn von Wiesenhütten in der Höhe von 100.000 Gulden. Neben all den Vorbereitungsarbeiten und Studienreisen für den Neubau, die ihn auch nach Österreich führen, schreibt er sein zweites Kinderbuch König Nußknacker und der arme Reinhold.

1854

folgt als drittes Kinderbuch Bastian der Faulpelz, das vor Schuleschwänzen und Eulenspiegeleien warnen will.

1856

Das Projekt der neuen ’Irrenanstalt’ ist mittlerweile weit fortgeschritten und ein vorläufiges Jahresgehalt erlauben es ihm, seine Privatpraxis ganz aufzugeben. Er unternimmt weitere Studienreisen zusammen mit seinem Architekten Oskar Pichler.

1858

erscheint sein Kinderbuch Im Himmel und auf der Erde. Herzliches und scherzliches aus der Kinderwelt.

 

Beim zweiten, endgültigen Manuskript des ’Struwwelpeter’ verwendet Heinrich Hoffmann auch Neuzeichnungen einer russischen Ausgabe (’Stepka Rastrepka’) als Vorlage.

1859

beweist er seine fachliche Kompetenz als "Irrenarzt" durch die Schrift Beobachtungen und Erfahrungen über Seelenstörungen und Epilepsie. Der Bau der Klinik kann endlich beginnen

1860

erscheint die satirische Schrift Der Badeort Salzloch, in dem er die Unsinnigkeiten des Badewesens karikiert

1864

ist die Anstalt fertiggestellt. Vor der feierlichen Eröffnung gibt es "Tage der offenen Türe", eine Novität für die damalige Zeit. Hoffmann lebt mit seiner Familie und seinen Kranken unter einem Dach. Eine seiner Maximen für die therapeutische Arbeit war "... Es muß vor allem so sein, daß der Eintritt des Arztes in eine Abteilung etwas vom Sonnenaufgang an sich habe. . .“

1871

erscheint sein letztes Kinderbuch Prinz Grünewald und Perlenfein mit ihrem lieben Eselein. Es klingt wie eine politische Parabel, wenn darin ein hochmütiger Königssohn mit Hilfe eines Zauberesels verbannt wird. Erst nachdem er seine Verfehlungen bereut hat, kehrt er geläutert an den Hof zurück.

 

1888

Hoffmann ist 79 Jahre und sucht um Pensionierung nach, die ihm bei vollem Gehalt bewilligt wird.

1891

beschließt er die 1889 begonnene Niederschrift seiner Lebenserinnerungen mit den Worten:". . . Ich war und bleibe Optimist. Von Schopenhauer will ich nichts wissen. Die Menschen sind besser, als viele meinen; man muß nur gegen sich selbst streng und wahrhaft und gegen andere nachsichtig und wohlwollend bleiben, von sich selbst viel, von anderen wenig verlangen."

 

Erst 1926 werden diese Lebenserinnerungen von seinem Enkel Eduard Hessenberg herausgegeben. Ebenfalls aus dem Nachlaß erscheint 1924 das Kinderbuch Besuch bei Frau Sonne.

1894

Am 20. September stirbt Heinrich Hoffmann in seiner Heimatstadt Frankfurt am Main.

 

 

Ein paar kurze Bemerkungen zu den historischen Hintergründen seiner Struwwelpetergeschichten seien noch hinzugefügt.

Frankfurt zur Zeit Hoffmanns hatte wie viele andere Städte zu dieser Zeit keine Kanalisation und Müllabfuhr. Der Unrat wurde vielfach - vor allem in den ärmeren Stadtteilen - einfach auf die Straße geworfen. Eine gewisse grundlegende Hygiene war daher geboten. Daumenlutschen war einfach unter bestimmten Voraussetzungen lebensgefährlich, hatte Hoffmann doch selbst Typhus- und Choleraepidemien erlebt. Und wie schnell man Läuse bekam, vor allem bei langen Haaren, hatte er selbst als Kind erfahren.

Der Anfang des 19. Jahrhunderts brachte eine immense Erleichterung für die Hausfrauen. Das Feuerzeug wurde erfunden. War es bisher notwendig, die Glut über Nacht sorgsam im Ofen zu bewahren, wenn man nicht mühsam mit Feuerstein und Zündschwamm täglich von neuem Feuer machen wollte, so ermöglichte das "Feuerzeug" (darunter sind unsere Zündhölzer zu verstehen und nicht das Feuerzeug im heutigen Sinn) nunmehr ein schnelles Entfachen. Diese technische Neuerung war anfangs noch nicht sehr ausgereift und verlangte äußerste Sorgfalt. Durch Unachtsamkeit und unsachgemäße Handhabung kam es zu zahlreichen Brandunfällen, die Hoffmann bei seiner täglichen Praxis behandeln mußte. Brandwunden als Todesursache bei Kindern lagen damals an 5. Stelle. Lebhaft in aller Erinnerung war auch noch der große Brand von Hamburg vom 5. - 8. Mai 1842, bei dem über 4000 Gebäude zerstört worden waren. Auch Frankfurt beteiligte sich durch namhafte Spenden – die übrigens aus aller Welt eintrafen – am Wiederaufbau der Stadt. Mit großer Wahrscheinlichkeit war unvorsichtiges Hantieren mit Zündhölzern die Ursache dieser Feuersbrunst. Auch beim Suppenkaspar läßt sich ein historisch praktischer Bezug finden. Als Armenarzt "verordnete" er sicher die sog. Armensuppe, die eine wohlhabende Gemeinde wie Frankfurt sicher gewährte. Vielleicht wollte er einfach einem kranken Kind die Notwendigkeit des Essens nach langer Krankheit klar machen. Ein bulimisches Kind sehe ich jedenfalls nicht im Suppenkaspar.

Aus den anderen Geschichten erkenne ich die Kinder- und Tierliebe Hoffmanns unter Berücksichtigung der damaligen Erziehungsmaximen. Hoffmann hat bis in sein hohes Alter nie vergessen, daß er Kind gewesen ist und seine Liebe zu Menschen war es auch, die ihn veranlaßte, mit "seinen Kranken" unter einem Dach zu leben, damit er ihnen möglichst nahe sein konnte.

 

nach oben